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Mit ohrenbetäubendem Knall

Wie Wissenschaftler der TU Berlin mit einem Hightech-Laser künstlich erzeugte Blitze lenken

Von Bernhard Mackowiak
  Wo rohe Kräfte sinnvoll walten... Bei den Blitzexperimenten in der TU lenken Wissenschaftler mit einem Hightech-Laser künstlich erzeugte Blitze.

Foto: TU 

Die Szene hat etwas Unheimliches, fast Mystisches an sich und könnte glatt aus einem Science-fiction-Film stammen: In einer abgedunkelten Halle erfüllt ein leises Summen die Luft. Mehrere Masten, ein weißer Container mit einer unscheinbaren Öffnung an einer Seite und zwei Metallreifen, die von der Decke hängen - viel mehr befindet sich nicht in der 17 Meter hohen, 40 Meter langen und 15 Meter breiten Halle.

Spannung legt sich über die Anwesenden, die alle dunkle Schutzbrillen tragen und teilweise Ohrenschützer. Dann ein schnarrender Ton, ein ohrenbetäubender Knall, und eine Säule aus gleißendem Licht schießt in Bruchteilen von Sekunden (genauer: in Bruchteilen von Millionstel - Sekunden) von einem Reifen zum anderen. Und wieder hat ein Blitz eingeschlagen.

Seit fast drei Wochen eifern Wissenschaftler in der großen Hochspannungshalle der Technischen Universität (TU) Berlin dem Göttervater Zeuss und dem Halbgott Prometheus nach: Sie erzeugen das göttliche Feuer in Form künstlicher Blitze und versuchen, es zu lenken. Anders als ihr antikes Vorbild Prometheus droht ihnen aber nicht, an einen Felsen geschmiedet zu werden. Die für die Griechen göttliche Kraft wird in diesem Experiment von einem drei Millionen Volt starken Generator gespeist. Im Gegensatz zu den natürlichen Blitzen sind die künstlichen nicht gezackt, sondern legen ihren Weg fast wie mit einem Lineal gezogen zurück.

Versuche mit Blitzen sind nicht neu: Bereits 1752 experimentierte der amerikanische Wissenschaftler und Staatsmann Benjamin Franklin mit den natürlichen elektrischen Entladungen: Während eines Gewitters ließ Franklin einen Drachen steigen, an dessen feuchter Schnur er einen Schlüssel befestigt hatte. Sobald das Metall in die Nähe der Erde kam, sprühten Funken. Damit bewies Franklin, dass es sich bei einem Blitz um eine elektrische Entladung handle. Die praktische Konsequenz war die Erfindung des Blitzableiters. Bei seinen Experimenten hatte Franklin übrigens Glück, dass er nicht getötet wurde. Denn die Stromstärke von Blitzen beträgt bis zu 100 000 Ampere bei Spannungen von mehreren Millionen Volt. Beim Einschlag entsehen Temperaturen von bis zu 30 000 Grad.

Verglichen damit sind die an der TU künstlich erzeugten Blitze bescheiden. Siemens experimentiert beispielsweise auf einem Hochspannungs-Prüffeld in Spandau mit Spannungen bis zu drei Millionen Volt, um die Auswirkungen natürlicher Blitze auf Stromnetze zu untersuchen. «Durch Blitzeinwirkungen kann es zu Überspannungen auf Freileitungen kommen. Diese Überspannungen bewirken eine erhöhte Beanspruchung der Isolation der einzelnen im Netz befindlichen Geräte», beschreibt Edelhard Kynast, der Leiter des Hochspannngsprüffeldes, den Grund seiner Arbeit. 

Die Blitz-Experten der TU lenken jedoch - und das ist das Neue - Blitze mit einem Hochleistungslaser. Seine Kapazität ist etwa zehnmal so groß wie die gesamte Kraftwerksleistung Deutschlands, die nach der letzten Messung bei 100 Gigawatt liegt. «Unser Laser hat ein Terawatt», sagt Lars Klingbeil von der TU-Forschungsgruppe stolz. Deshalb muss die Laserentladung extrem kurz sein. Sie dauert nur eine Billiardstel Sekunde. Selbst das Licht legt in dieser Zeit nur die winzige Strecke von 0,0003 Millimetern zurück», erklärt der Diplomingenieur

Den erforderlichen Strom holen sich die Forscher übrigens ganz normal aus dem öffentlichen Stromnetz. Aus der Schaltwarte des Institutsgebäudes im Keller werden die gewaltigen roten Kondensatoren in der Halle über 30 Sekunden lang aufgeladen. Die gespeicherte Energie wird dann binnen einer Femtosekunde entnommen - das heißt: dem billiardenstel Teil einer Sekunde. Nur so ist es möglich, die benötigten Ströme im Kiloamperebereich fließen zu lassen. 

Der Laser wurde im Rahmen des Projekts Teramobile entwickelt, an dem die Freie Universität (FU) Berlin, die Friedrich-Schiller-Universität Jena, und zwei französische Hochschulen beteiligt sind: «Teramobile beinhaltet einen Hochleistungslaser, der für verschiedene Untersuchungen geeignet ist. Das sind neben Experimenten zu speziellen physikalischen Effekten der Luft auch Versuche, mittels Laser eine Blitzentladung zu führen», berichtet Klingbeil. Genau diese Versuche werden am Fachgebiet Hochspannungstechnik der Technischen Universität Berlin durchgeführt. Ziel ist es, den Blitz in einem vom Laser bestimmten Kanal zu zwingen und damit seinen Weg vorherzubestimmen. Und das wirklich Neue ist, dass ein so kurzer Laser-, also Lichtimpuls der Hochspannungs-Entladung über mehrere Meter hinweg den Weg bereitet. «Die erreichten Entfernungen gehören zu den längsten bislang realisierten geführten Entladungen weltweit», erklärt der TU-Forscher. 

Natürlich ist nicht jeder Schuß ein Treffer. Die Quote liegt bei etwa 50 Prozent. Das hat banale Gründe: So schwingt die von der Decke hängende Elektrode leicht, so dass der Laser mal besser und mal schlechter trifft. Auch können in der Luft schwebende Staubteilchen den Strahl dämpfen. Außerdem schwankt die Temperatur je nach Anzahl der bereits geschossenen Entladungen. «Wir schrauben an sehr vielen Parametern, damit wir feststellen können: Was hat jetzt genau welchen Einfluß? Und erst nach diesen Vorversuchen könnte man sich mit den Laserexperten von Teramobile wieder zusammensetzen und Genaueres besprechen», berichtet Klingbeil. Ziel ist es, die Entladungslänge zu erhöhen: «Vielleicht schaffen wir künftig zehn Meter, dann irgendwann hundert Meter.»

Die Forscher betonen, dass es sich bei diesen Versuchen noch um reine Grundlagenforschung handelt. Eine praktische Anwendung wäre vielleicht in ferner Zukunft ein neuartiges Blitzableitersystem. Hierbei würde dann die Energie der Naturgewalt nicht mehr zufällig entladen. Sondern man könnte direkt Laserimpulse in die Gewitterwolken hineinschießen, um dem Blitz so einen kontrollierten Weg zur Erde zu ermöglichen. Für sensible Bereiche wie Kernkraftwerke, Flughäfen oder wichtige Überlandleitungen könnte auf diese Weise die Sicherheit erhöht werden.

Berliner Morgenpost, vom: 01.07.2001
URL: http://www.berliner-morgenpost.de/archiv2001/010701/wissenschaft/story436235.html